Tikaré – Partnerschaft in Zeiten des Krieges

Seit vier Jahrzehnten hat die Hansestadt Uelzen eine partnerschaftliche Beziehung zu der Region Tikaré in Burkina Faso, einem Binnenland in Westafrika. Damals in den achtziger Jahren, 25 Jahre nach der Unabhängigkeit der ehemals französischen Kolonie Obervolta, hat das Land eine erste Einparteienherrschaft überwunden, eine erste moderate Militärdiktatur hinter sich und besonders die Jugend lebt in einer revolutionären Aufbruchstimmung. 

Unter dem jungen Präsidenten Thomas Sankara soll es in die Zukunft gehen, gelöst aus Abhängigkeiten, im Vertrauen auf die eigene Kraft will man gemeinsam einen funktionierenden Staat ohne Korruption aufbauen. Zahlreiche Zusammenarbeitsprojekte und Partnerschaften entstehen zur Unterstützung der Selbsthilfeprogramme. 

Dann 1987 der Rückschlag: Ermordung von Sankara und der Regierung. Es folgt die 29 Jahre andauernde Diktatur unter Compaoré, Opposition und Kritik sind unerwünscht, wer sich nicht fügt, wird zum Schweigen gebracht. Aber es herrscht Frieden im Land, Städtebau und Infrastruktur kommen voran, mit dem Goldabbau wächst die Korruption, für die Masse der Einwohner verändert sich wenig, die Landflucht in die Städte nimmt zu. Die Führungsclique protzt im Reichtum, die Armen finden kaum Arbeit und Einkommen.

Vor 8 Jahren beginnt ein aufwendiger neuer Versuch in Demokratie, Parteiengezänk kann aber nicht überzeugen, Korruption der Staatsführung bleibt und zusätzlich beginnen brutale Angriffe von radikal islamischen Gruppen zunächst auf Orte in den nördlichen und östlichen Grenzgebieten. Die schlecht ausgerüstete Miniarmee kann trotz französischer und amerikanischer Unterstützung die gut bewaffneten Terrorgruppen nicht aufhalten. Wie im Nachbarland Mali entgleiten weite Gebiete der Kontrolle des Staates, die Staatsorgane Gendarmerie, Polizei, Militär, Verwaltung, Schulmitarbeitende fliehen, Überfälle und Zerstörungen lassen mehr als 2 Millionen Menschen in Burkina zu Binnenflüchtlingen werden. 

Zwei Militärputsche in 2022 bringen eine Gruppe um Ibrahim Traoré an die Macht. Diese orientiert sich seither an der Militärregierung im Nachbarland Mali und beendet die Zusammenarbeit mit Frankreich, den USA, der EU und der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO, setzt statt dessen auf Russland und die Wagner Söldner.

Frankreich stoppt daraufhin die Überweisung von finanziellen Mitteln nach Burkina Faso und beendet so auch die Fortsetzung von Zusammenarbeitsprojekten. 

Die weitere Verschärfung der Sicherheitslage trifft die Bevölkerung sehr hart. Was soll sie tun? Arrangiert sie sich mit den Terrorgruppen um wenigstens zu überleben, dann erscheint nicht selten die Armee und nimmt grausam blutige Rache auch an Alten, Frauen und Kindern.  Stellt sie sich auf die Seite der Staatsorgane, dann ist mit dem Überfall der motorisierten Terrorgruppen zu rechnen, die mordend und brandschatzend ein ebensolches Schlachtfeld hinterlassen.

Unser Tikaré liegt 120 Kilometer nördlich der Hauptstadt Ouagadougou in der Provinz Bam.  Die Verbindungspiste von Kongoussi nach Ouahigouya im Nordwesten quert die Region. Die Terrorgruppen haben mit ihren Angriffen mehrfach Dörfer am nördlichen Rand der Region keine 10 km von Tikaré entfernt erreicht. Die Verbindung nach Kongoussi war lange unterbrochen und vermint. Vor wenigen Tagen wurde mit einem Überfall auf die Dörfer Séguénéga, Manegtaba und Ansouri die Piste nach Ouahigouya kurz hinter Tikaré unterbrochen. Die überlebenden Einwohner der nahen Dörfer fliehen vorerst nach Tikaré, wo sie mit ihren wenigen Habseligkeiten ausharren und auf eine mögliche Rückkehr hoffen in ihre zerstörten Orte, wo die sterblichen Überreste der Ermordeten inzwischen das Überleben der Geier sichern. Unser Tikaré ist zur Front in diesem mörderischen Krieg geworden!

Was bleibt für unsere Zusammenarbeit? Wir stehen regelmäßig per Videoanruf und What’s App im Kontakt mit unseren Partnern vor Ort. Die Stimmung schwankt zwischen Niedergeschlagenheit und vorsichtiger Hoffnung. Wir haben es mit Menschen zu tun, die uns über Jahrzehnte bekannt sind, wir haben sie besucht, sie haben uns besucht, wir haben voller Hoffnung viele kleine Projekte miteinander umgesetzt. In den letzten Jahren oft auch Geld zur Unterstützung von Aus- und Weiterbildung ausgegeben, denn Infrastrukturprojekte sind in einer Kriegssituation mit potentieller Zerstörungsaussicht nur begrenzt sinnvoll. Gerade jetzt brauchen uns die Freunde in Tikaré mehr denn je. Sie leiden mittlerweile echte Not und sie können doch nichts dafür, dass die dortige Militärregierung (aus Verzweiflung?) inzwischen offensichtlich die gleiche Kriegsstrategie verfolgt wie die Terrorgruppen.

Wir wollen und werden weiterhin tun was wir können, um unsere Freunde zu unterstützen und wenigstens durch kleine Gesten zeigen, dass wir sie nicht vergessen.  

Unsere Partner bitten uns um Hilfe, nicht für sich, sondern zur Unterstützung der Flüchtlinge vor Ort. Geerntet wird in Burkina im Oktober nach der Regenzeit. Im Frühjahr von April bis Juni vor der Regenzeit werden regelmäßig die Grundnahrungsmittel knapp und auch teurer. Es macht also Sinn, im Herbst Vorräte zu kaufen und sie bis ins Frühjahr aufzuheben, um dann etwas zur Verfügung zu haben. Also überweisen wir Ende 2023 mehrere Tausend Euro zum Ankauf einer LKW-Ladung von Mais und Hirse als Nahrungsmittelvorrat für die Weitergabe an die Flüchtlinge. Unser langjähriger Partner Yassaya organisiert die Beschaffung und Lagerung. 

Ende März 2024 werden die 50 Säcke mit jeweils 100 kg Mais und Hirse in einer öffentlichen Veranstaltung im Beisein des Naaba (Königs) von Zitenga (örtlicher Name der Region Tikaré), des örtlichen Vertreters der Militärregierung und anderer Offizieller den Flüchtlingsfamilien übergeben. 

Mit den Fotos erreicht uns ein herzliches „Danke“ der Menschen, die alles verloren haben.

Gern gebe ich dieses „Danke“ an alle diejenigen weiter, die unsere Arbeit für die Freunde in Tikaré mit ihren Beiträgen und Spenden unterstützen.

Hans Peter Hauschild
im Mai 2024